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Das Gartenhäuschen

Frühjahr 2020 - Was tun, wenn eine weltweite Pandemie herrscht und man seinen Liebsten nicht zu nahe kommen soll? Man sucht nach kreativen und coronakonformen Lösungen, sich trotzdem zu sehen. Und wenn nicht alles glatt läuft, hat man hinterher wenigstens was zu erzählen.

„Ich habe gehört, dass man sich in Niedersachsen wieder in den Arm nehmen darf“,

sagte eine Freundin neulich zu mir.


Ich dachte sofort: Jetzt kann ich endlich Mama und Papa wiedersehen.

Also brütete ich noch am selben Tag über der Idee, in die Heimat zu fahren und meine über 70 jährigen Eltern und meine Schwiegereltern, die praktischerweise im selben Ort wohnen, mit einem AHA-Besuch zu überraschen. Wir würden einfach so viel Abstand wie möglich halten und die Übernachtungskoje durchs Gartenbett im Campingzelt tauschen. Alles safe. Dürfte eigentlich nichts schiefgehen. (Bei solch komischen Vorschlägen rollt mein Mann übrigens nicht die Augen, sondern direkt die Schlafsäcke zusammen. Das mag ich an ihm.)

Als aufmerksame Leserin denkst du dir jetzt vielleicht: Jap – ich weiß schon, was passiert ist – ihr habt euch am gleichen Tag gegenseitig besucht und standet dann jeweils vor verschlossenen Türen.

Nope. Sowohl meine Eltern wie auch Schwiegereltern leben etwa auf dem Spontanitätslevel „englische Königshochzeit“. Von daher war die Gefahr nicht allzu hoch.

Wir fuhren also in die niedersächsische Provinz - Ankunftszeit: 14:30 Uhr. Mitten in der täglichen Murmeltierzeit von rüstigen Rentner:innen. Um die Schlafmützen nicht komplett zu schockieren, rief ich 10 Minuten vor Ankunft an und erzählte etwas von einem Ausflug ins Grüne, bis ich schließlich durch die Gartenpforte trat und vorschlug, sie sollten mal aus dem Fenster gucken.

Was war das für ein schönes Gefühl, als ich nach so vielen Monaten das erste Mal wieder in die (zugegebenermaßen etwas verwirrten) Gesichter meiner Eltern blickte und durchs Fenster hörte: „Das gibt’s doch jetzt nicht. Das glaub ich nicht. Das gibt’s doch jetzt nicht. Ich hab´s geahnt!“ Und vielleicht kullerte auch eine klitzekleine Träne über meine Wange.

Dem natürlichen Umarmungsimpuls meiner Mama konnte ich durch einen geschickten Ausfallschritt ausweichen. Normale Zeilen in merkwürdigen Zeiten.

Nach einer ausgedehnten Kaffeerunde im Garten spazierten wir zu den Eltern meines Mannes, die wohl noch weniger mit unserem Besuch gerechnet hatten. Erster Satz nach Öffnen der Tür dort jedenfalls: „Eigentlich wollten wir grad essen.“ Mit etwas Zeitverzögerung war die Wiedersehensfreude aber auch hier riesengroß. Und der vergossenen Tränchen ein paar mehr.

Abends – zurück im Garten meiner Eltern -  berichteten wir von unseren Schlafplänen, als mein Vater sofort abwinkte: „Ach Quatsch, ihr müsst doch nicht im Zelt schlafen!“.

 Jetzt sagt er, wir sollen drinnen übernachten, dachte ich.

„Nehmt lieber das Gartenhäuschen. Ist wärmer und gemütlicher.“

Ein paar Stunden später lag ich eingepackt in drei Pullover, zwei Paar Socken und Mütze (Mainächte in Niedersachen sind nicht zu unterschätzen) im Gartenhäuschen und wartete als Schlummer-Wrap aufs Lummerland. Nur ein Kissen fehlte zu meinem Glück. Das holte ich noch schnell aus dem Keller.

5 Minuten später. Obwohl es im Garten stockduster hätte sein müssen, flackerte ein Licht.

Ich: „Was ist das?“

Mein Mann: „Da parkt wohl jemand.“

„Parkende Autos leuchten doch nicht so hell?“

„Keine Ahnung, schlaf jetzt mal.“

Weitere 2 Minuten später leuchtete jemand direkt in den Garten.

Ich, laut flüsternd: „Da leuchtet jemand direkt in den Garten!!!!“

 „Dann leuchtet eben jemand in den Garten. Ich würde jetzt echt gern schlafen.“ (Wie kann man nur so entspannt sein? Ist mir unbegreiflich.)

Dann Stimmen: „Wir gehen noch mal vorne rum und schauen dort nach.“

Einen kurzen Moment lang Stille und Dunkelheit. Dann passierte etwas, das sich am besten als „Lichtparty“ beschreiben lässt: Scheinwerfer leuchteten von allen Seiten. So hell, dass man im Nachbargarten ohne Sichtprobleme ein nächtliches Fußballspiel hätte austragen können. Und auch die Stimmen wurden lauter.

Da fiel bei mir endlich der Groschen: Das musste die Polizei sein. Eine Nachbarin hatte mich wohl mit Taschenlampe in den Keller gehen sehen und – nun ja: Die Vermutung lag nahe, dass ich für eine Einbrecherin gehalten wurde.

Vor meinem inneren Auge umzingelte eine Hundertschaft das Gartenhäuschen und forderte uns per Megafon auf, mit erhobenen Händen auszutreten. Bonnie und Clyde im Gartenhäuschen. Oder so ähnlich.


Mein Clyde glaubte zu diesem Zeitpunkt immerhin auch endlich, dass etwas komisch war.

Man würde meinen, wir hätten eigentlich nur herausspazieren und die Situation aufklären müssen. Eigentlich. In meinem Kopf flogen nämlich die Gedanken umher. Ich hatte zwar keine Angst, als Einbrecherin entlarvt zu werden, war mein einziges Diebesgut doch das rosa Plüschkissen aus dem Keller meiner Eltern. Mich beschäftigte eher die Frage, ob das Aufeinandertreffen zweier Haushalte in Niedersachen zu dem Zeitpunkt wirklich schon wieder erlaubt war. Oder ob wir uns quasi illegal im Garten meiner Eltern aufhielten. Wie hoch waren die Strafen noch gleich – 5.000 Euro? 10.000 Euro?

Nachdem wir eine kurze Flüsterdiskussion abhielten und ich noch darüber nachdachte, ob wir die Situation einfach aussitzen sollten, stieg der Mann schon aus dem Gartenhäuschen und fragte höflich, ob eventuell vielleicht jemand die Polizei gerufen hätte.

„Ja. Dürfen Sie sich hier aufhalten? Ist das Ihr Wohnsitz?“

„Öhm. Ja.“

„Dann einmal ausweisen bitte.“

Mist.

Mein Mann kam ins Gartenhäuschen zurück und fragte leise, ob ich in meinem Geldbeutel vielleicht einmal nach einer alten Karte suchen konnte, die noch die Adresse meiner Eltern trug.

Ich guckte ihn fragend an. Woher sollte ich die denn jetzt herzaubern? Und überhaupt: Welche hätte er denn gerne: die Knax-Club-Karte oder lieber meinen alten Detektivausweis?

Mein Kopfkino lief weiter. Zu den 10.000 Straf-Coronas gesellte sich jetzt also noch eine Anzeige wegen Falschaussage. Heute Morgen noch rechtschaffende Menschen mit einer 1a Coronapräventionsbesuchsidee - jetzt schon bankrotte Diebe mit einem Hang zu Adressflunkereien. Na toll.

Zu unserer Überraschung nahm der Polizist aber die Taschenlampe aus meinem Gesicht und hielt sie in eine andere Richtung. Direkt zum Schlafzimmer meiner Eltern. Währenddessen rief seine Kollegin in der Zentrale an, um unseren Aussagen zu überprüfen.

Im nächsten Moment wurden auch schon die Rolläden hochgezogen. Ich malte mir aus, wie meine aufgeregten Eltern im Fenster erscheinen und die Welt nicht mehr verstehen würden. Und wirklich kam nach kurzer Zeit mein Papa am Fenster zum Vorschein. Er sah allerdings überhaupt nicht aufgebracht aus. Eher im Gegenteil: Er grinste breit. Und wedelte uns fröhlich mit der Hand zu. Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr.

Ein paar Minuten später kam er im Bademantel in den Garten und – ich mache es kurz: Wir konnten alles aufklären. Endlich entspannte sich auch der Ton der Polizist:innen. An ihrer Reaktion konnte ich ablesen, dass sie uns jetzt nicht mehr für gefährlich hielten, trotzdem aber ein bisschen bescheuert fanden. Die kleine Verwechslung unseres Wohnsitzes beachteten die Ordnungshüter:innen zum Glück nicht weiter und fuhren im Polizeimobil zurück Richtung Zentrale. Wahrscheinlich, um den Kolleg:innen von einer bekloppten Familie mit Gartenhäuschen zu berichten.

Warum mein Vater so entspannt am Fenster gewinkt hatte? Er dachte, wir würden hochleuchten. Aus Spaß. Da das Strahlen aber nicht aufhörte und „doch recht grell war“, entschied er, noch mal im Garten nach dem Rechten zu sehen.

Im Nachhinein stelle ich zwei Dinge fest:

  1. Eigentlich brauchte ich mich überhaupt nicht wundern, dass die Polizei gerufen wurde. Mit meinem schleichenden Gang und der Bilderbuchtaschenlampe in der Hand hätte ich auch bei der „Miss Einbrecherin 2020“-Wahl mitmachen können, gekrönt durch die Entrance durch den Keller. Mein 5-jähriger Neffe wäre stolz auf meine Performance gewesen! Servicetipp: Bei Gartenübernachtungen also lieber die Taschenlampe weglassen und zur Not auf allen Vieren fortbewegen. Dann kann eigentlich nichts schiefgehen.

  2. Familie ist was Tolles und Überraschungen sind wunderbar. Meistens.

Das Gartenhäuschen: Lebenslauf

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